Ein Glas Rotwein und schön läuft die Nase oder juckt die Haut? Immer mehr Menschen leiden an einer besonders tückischen Nahrungsmittelunverträglichkeit, der Histaminintoleranz. Bis zu drei Prozent der Bevölkerung sind betroffen und reagieren auf so ziemlich alles, was in Lebensmitteln, Getränken und Co. enthalten ist. Und auch in der Apotheke kommt das Thema häufig vor: Viele Medikamente spielen bei der Histaminunverträglichkeit eine Rolle. Der folgende Artikel hilft Betroffenen, mehr über die Erkrankung, Symptome und Verhaltensregeln zu erfahren.
Was bedeutet Histaminintoleranz?
Vor einiger Zeit sagte jemand zu mir: „Histaminintoleranz, ist doch Quatsch, wir reagieren alle allergisch auf Histamin.“ Ich musste bei der Recherche zu diesem Artikel immer wieder daran denken. Denn es stimmt: Histamin ist der wichtigste Stoff bei allergischen Reaktionen. Und wenn man davon zu viel in der Blutbahn hat, kommt es zu Juckreiz, Schwellungen, Atemnot und Co. – egal ob man an einer Histaminintoleranz leider oder nicht.
Aber: bei einer Histaminintoleranz (HIT) spielen ganz andere Mechanismen eine Rolle. Denn diese Unverträglichkeit ist eben keine typische allergische Reaktion. Es besteht vielmehr ein Ungleichgewicht zwischen der Aufnahme und dem Abbau des Botenstoffes Histamin im Körper. Und weil hierüber viel weniger bekannt ist, als über klassische Allergien, ist die Leidensgeschichte für viele Patienten sehr lang und der Weg zur richtigen Diagnose weit.
Was ist die Ursache von Histamininoleranz?
In Deutschland sind ein bis drei Prozent der Menschen von Histamin-Intoleranz betroffen. Die meisten Patienten sind Frauen mittleren Alters. Zwar weiß die Forschung noch nicht genau, woher eine Histaminintoleranz eigentlich kommt. Als mögliche Ursachen werden jedoch Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa diskutiert. Auch ein Gendefekt des Enzyms Diaminoxidase (DAO, dazu später mehr) könnte Auslöser für eine Histamin-Intoleranz sein.
Welche Symptome treten auf?
Die Symptome der Histaminintoleranz sind ziemlich vielfältig. Denn Histaminrezeptoren gibt es überall im Körper, an der Haut, im Magen-Darmtrakt, an der Nase, der Lunge, etc. Das macht es den Betroffenen so sehr schwer. Und auch eine Diagnose wird durch die diffusen Symptome erschwert. Unter anderem treten auf: Magen-Darm-Beschwerden, verstopfte Nase, Fließschnupfen, Kopfschmerzen, Regelbeschwerden, Rhythmusstörungen, Urticaria, Juckreiz, Flush, Asthmaanfälle. Zudem sind Migränepatienten häufig doppelt geplagt: Sie haben meist eine niedrige Histamintoleranzschwelle, weshalb sie mit Migräneattacken auf Histaminzufuhr reagieren.
Wie wird Histaminintoleranz diagnostiziert?
Der Weg zur richtigen Diagnose ist für viele Patienten eine echte Odyssee. Denn die Symptome ähneln sehr stark „normalen“ allergischen Reaktionen. In der Regel führt der Arzt dann allergologische Tests durch, deren Ergebnis jedoch meist negativ ist. Eine Histaminintoleranz (HIT) kann über diese Verfahren nicht nachgewiesen werden.
Die Standarddiagnostik für HIT besteht vielmehr aus einer histaminarmen Diät, an die sich eine sogennante Provokationstestung anschließt: Mithilfe histaminreicher Nahrung oder Medikamenten, die den Histaminstoffwechsel beeinflussen, sollen Reaktionen ausgelöst werden. Treten dann mindesten zwei typische Symptome auf, die durch eine entsprechende Diät oder der Gabe von Antihistaminika (Allergietabletten wie Cetirizin) gebessert werden können, wird die Diagnose Histaminintoleranz gestellt. Außerdem kann die DAO-Aktivität über einen Bluttest gemessen werden. Puh… ein wirklich langer Weg, den die Betroffenen da gehen müssen.
Was ist Histamin eigentlich?
Histamin zählt zu den sogennanten biogenen Aminen. Der natürlich im Körper vorkommende Stoff spielt bei Allergiereaktionen eine wichtige Rolle. Er kann durch Allergene (wie Pollen oder Hausstaub) oder nicht-allergisch (wie bei Histaminintoleranz) ausgeschüttet werden. Bei Letzterem spielen sogenannte Histaminliberatoren eine Rolle, wie zum Beispiel Medikamente, Nahrungsmittel oder auch physikalische Reize. Sie sorgen dafür, dass Histamin in die Blutbahn freigesetzt wird und Symptome auslöst.
Was ist DAO?
Normalerweise wird Histamin im Körper durch zwei Enzyme abgebaut: Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) und Diaminoxidase (DAO, frühere Bezeichnung: Histaminase). Die DAO spielt vor allem beim Abbau von Histamin aus der Nahrung eine wichtige Rolle. Ist die Funktion der DAO gehemmt oder geschwächt (das ist bei Histaminintoleranz der Fall), kommt es bei Zufuhr von histaminreichen Lebensmitteln, Alkohol, oder bestimmten Medikamenten zu den typischen Symptomen: Fließschnupfen, Kopfschmerzen, Durchfall und Hautreaktionen.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Die schlechte Nachricht: Geheilt werden kann die Histamininoleranz bislang nicht. Aber: Durch eine gezielte Umstellung der Ernährung und Vermeidung histaminreicher Stoffe können die Symptome weitestgehend vermieden werden. Betroffene Patienten sollten daher auf bestimmte Nahrungsmittel und Arzneimittel verzichten. So lässt sich trotz Histamininoleranz ein unbeschwertes Leben führen.
Was darf man essen?
Das Thema Essen bestimmt den Alltag vieler histaminintoleranter Menschen. Denn Nahrungsmittel sind einer der Hauptauslöser für die Symptome. Um die Beschwerden zu vermeinden, ist es tatsächlich ratsam, möglichst wenig biogene Amine zu sich zu nehmen. Auch wenn es anfangs schwer fällt, auf gereiften Käse, rohen Schinken und Rotwein zu verzichten, lohnt sich der Verzicht. Und es gibt genügend Alternativen, um den Speiseplan abwechslungsreich zu gestalten. Im Folgenden ein paar Beispiele für Lebensmittel, die keine Beschwerden auslösen.
Gemüse: Feldsalat, Möhren, Kürbis, Zucchini
Obst: Äpfel, Kaki, Heidelbeeren, Weintrauben, Sauerkirschen
Käse und Milch: Butter (Süßrahm), Frischkäse, Gouda (jung), Milch, H-Milch, Quark
Fleisch: frisches Fleisch (Pute, Rind, Schwein)
Wurst: Fleischwurst, Leberkäse, gekochter Schinken
Fisch: fangfrischer Meeresfisch
Getränke: Kräutertee (Kamille), stilles Mineralwasser
Eine sehr gute Übersicht und Hinweise zu einer histaminfreien Diät finden Sie hier: http://www.shg-hit.de/Links-und-Literatur
Was sollte man lieber nicht essen?
Histamin ist in nahezu allen Nahrungsmitteln enthalten. Je reifer die Produkte sind, umso höher ist die Histaminkonzentration. Solche Reifungs- oder Gärungsprozesse spielen zum Beispiel bei altem Käse, Sauerkraut, Wein, gelagertem Fisch, Fleisch oder Wurst eine Rolle, die einen relativ hohen Histamingehalt haben. Rotwein ist gleich doppelt „schlecht“: Er ist sowohl histaminreich (wegen der Gärungsprozesse) als auch ein Hemmstoff der DAO (wegen des enthaltenen Alkohols). Im Folgenden eine Auswahl von Stoffen, die Betroffene lieber meiden sollten:
Gemüse: Avocado, Steinpilze, Sauerkraut, Tomaten
Obst: Bananen, Ananas, Kiwi, Orange
Käse und Milch: gereifte Käse, Rohmilchkäse
Fleisch: geräuchertes Fleisch, Innereien
Wurst: Salami, Rohschinken, Leberwurst
Fisch: Thunfisch, Konserven, Schalentiere, tiefgekühlter Fisch
Getränke: Alkoholhaltige Getränke, schwarzer Tee
Helfen Medikamente bei Histaminintoleranz?
Neben einer konsequenten Diät können auch Medikamente helfen, die Symptome zu linden. Sie greifen zum Beispiel in den Histaminstoffwechsel ein oder stabilisieren den Darm mithilfe von guten Darmbakterien. Alle im Folgenden beschriebenen Medikamente sind ohne Rezept in der Apotheke erhältlich.
Allergietabletten blockieren Histamin
Eine Möglichkeit, um die Symptome einer Histaminintoleranz akut und effektiv zu lindern sind sogenannte Antihistaminika. Sie haben zwar einen komplizierten Namen, sind aber dafür sehr gut wirksam bei Symptomen auf der Haut, Fließschnupfen oder einer verstopften Nase. Der Name ist bei Antihistaminika Programm: Sie binden sich an die Histaminrezeptoren im Körper und verhindern so negative Wirkungen des überschüssigen Histamins. Mehrere Wirkstoffe sind ohne Rezept erhältlich.
Cetirizin (z.B. als schnell wirkende, laktosefreie Schmelztabletten von der Firma Aliud) und Loratadin (Lorano) sind auch für die Dauertherapie geeignet. Sie haben nur einen kleinen Nachteil: Sie können müde machen.
Recht neu am Markt sind freiverkäufliche Allergietabletten mit Levocetrizin. Dieser Stoff war bislang nur auf Rezept erhältlich. Er ist verwandt mit Cetrizin, macht aber weniger müde.
Mastzellstabilisatoren verhindern Histaminfreisetzung
Eine weitere Stoffklasse, die bei Histaminintoleranz hilft, sind sogenannte Mastzellstabilisatoren (Cromoglicinsäure). Sie sprechen vor allem bei Magen-Darm-Beschwerden an. Wichtig zu wissen: Dieser Wirkstoff eignet sich nicht, um akute Schübe zu behandeln. Denn Cromoglicinsäure verhindert lediglich, dass Mastzellen platzen und Histamin freisetzen. Es ist also ein Mittel zur Prophylaxe und kann beispielsweise angewendet werden, wenn histaminreiche Speisen nicht zu vermeiden sind. Am besten wirkt das Medikament, wenn es kurz vor den Mahlzeiten eingenommen wird.
Daosin als Enzymersatz
Daosin® ist ein DAO-haltiges Präparat, um dem körpereigenen Enzym beim Abbau von Histamin zu helfen. Eine Studie aus dem Jahr 2019 konnte zeigen, dass eine vierwöchige Therapie mit DAO-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln zahlreiche Symptome einer Histaminintoleranz lindert. Auch wenn die Zahl der Studienteilnehmer noch recht klein war, ist dies doch ein erster Beleg für die Wirksamkeit.
Gesunde Darmflora dank Probiotika
Als mögliche Ursache für Histaminintoleranz wird eine Schädigung von Darmzellen, sogenannten Enterozyten, diskutiert. Auch wenn die genaue Mechanik noch nicht klar ist, hilft vielen Patienten eine Darmsanierung mit Probiotika. Über die Zufuhr solcher „guter“ Darmbakterien lässt sich die Symptomatik bei Histaminintoleranz positiv beeinflussen.
Ernährungsberatung und Tagebuch
Mein Tipp: Patienten sollten ein Symptom- und Ernhärungstagebuch führen. Wenn man weiß, welche Stoffe oder Produkte zu Symptomen führen, kann man diese künftig gezielt vermeiden. Auch eine Ernährungsberatung kann sinnvoll sein, um sich mithilfe eines professionellen Beraters dem Thema anzunähern.
Wie viel Histamin darf man zu sich nehmen?
Die Antwort lautet: Es kommt drauf an. Nämlich, wie hoch die individuelle Histamintoleranzschwelle liegt. Und wie viel Histamin man zu sich nimmt. Wird die eigene Schwelle überschritten, kommt es zu konzentrationsabhängigen Symptomen. Eine allgemeine Richtlinie wie „ein Glas Rotwein“ oder „20 Gramm Parmesan“ pro Tag gibt es deshalb nicht.
Zusammenfassung
Histaminintoleranz macht Betroffenen große Probleme. Erst bei der Diagnostik und dann bei der Therapie. Das A und O ist eine weitestgehende Vermeidung von histaminreichen Stoffen. Ist das einmal nicht möglich, können auch Medikamente wie Antihistaminika die Beschwerden lindern.
In einem weiteren Artikel gehe ich dann auf Probleme mit Medikamenten bei einer Histaminintoleranz ein.
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